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„Offenheit bringt mehr Lebensqualität“

Heide Hällfritzsch, 76 Jahre, lebt in München. Ihr Mann Klaus hat vor fünf Jahren die Diagnose frontotemporale Demenz bekommen. Heide kümmert sich um ihn, unterstützt von ihren Kindern. Klaus verbringt drei Tage pro Woche in einer Tages- und Nachtpflegeeinrichtung.

Unsere Herausforderung

Seit fünf Jahren wissen wir, dass Klaus Demenz hat, aber die Anzeichen haben schon viel früher angefangen. Es begann mit kleinen Dingen, die mich im Alltag stutzig machten. In Gesprächen fielen ihm manchmal nicht mehr die richtigen Worte ein. Er nutzte dann merkwürdige Umschreibungen. Oder die Orientierungsprobleme. Als wir zum Beispiel in unserem Lieblingsviertel Schwabing unterwegs waren, konnte er sich plötzlich nicht mehr orientieren. Oder die Sache mit unserem Boot. Seit Jahrzehnten haben wir ein Holzboot, und für Klaus war es das Größte nach der Arbeit mit dem Boot zu fahren. Als wir eines Tages dort waren, stand Klaus davor und wusste nicht, wie man die Pumpe bedient und das Boot startet.  
Im Alltag gab es immer häufiger solche Auffälligkeiten, und sie haben zu vielen Diskussionen geführt. Wenn ich Klaus darauf angesprochen habe, hat er alles verneint. Ich war ungeduldig und konnte nicht verstehen, warum er all das nicht mehr kann. Dass eine Demenz dahintersteckt, kam mir nicht in den Sinn. Irgendwann wurden die Symptome so augenfällig und auch die Kinder meinten, er solle mal zum Arzt gehen. Die Diagnose stand schnell fest. Wir haben nie darüber geredet. Klaus wollte nicht. Mir ging es ganz schlecht damit. Ich hatte Angst, dass unser normales Leben vorbei ist. Da war die Sorge, dass wir nicht mehr einbezogen werden, wenn unsere Freunde erfahren, dass Klaus Demenz hat. Ich spürte eine große Last der Verantwortung. 
 

Das haben wir gemacht

Die Zeit nach der Diagnose war schwer. Ich habe mich dann alleine mit engen Freunden getroffen. Als ich ihnen von der Demenz erzählt habe, waren sie nicht erstaunt. Sie meinten, das hätten sie schon gemerkt. Sie haben mir gut zugeredet, aber ich war trotzdem überfordert. Ich habe mich sehr alleine damit gefühlt. Mir hat ein Coaching sehr geholfen, und auch die Gespräche in der Angehörigengruppe haben Mut gemacht, selbstbewusster damit umzugehen. Die Angst, dass wir nicht mehr teilhaben können, die war nur in mir. Unsere Freunde haben uns weiter integriert. Ich will weiter teilhaben, auch für Klaus ist das wichtig. Wir haben weiter das gemacht, was uns immer Freude bereitet hat: Fahrradtouren zum See, schwimmen, zu Konzerten gehen und Abendessen mit Freunden veranstalten. Wir fahren weiterhin wie jedes Jahr zu Freunden zur Olivenernte nach Italien. Es ist für mich eine enorme Doppelbelastung, aber es gibt mir das Gefühl, eine gewisse Normalität beizubehalten.

Was ich gelernt habe

Anfangs habe ich gehofft, dass mir jemand die ganze Last abnimmt und habe viel von anderen erwartet. Aber man muss das selber in die die Hand nehmen. Alles alleine zu organisieren und alleine die Verantwortung zu tragen, ist anstrengend, doch es hat mich stärker gemacht. Ich habe meine Anlaufstellen gefunden und habe auch gelernt, konkret um Hilfe zu bitten. Je weiter man sich öffnet, umso selbstverständlicher wird es. Ich bekomme viel Feedback von anderen, die bewundern, wie offen und mutig ich mit Klaus Demenz umgehe. Das gibt mir Kraft. Es ist wichtig, dass ich einen guten Weg für mich finde, denn dann kann ich mich auch gut um Klaus kümmern.

Das sollte sich ändern

Man muss sich nicht verstecken mit der Diagnose Demenz. Es bringt nichts, das verheimlichen zu wollen. Die Offenheit bringt mehr Lebensqualität. Schritt für Schritt schreitet so eine Demenz voran und man braucht weitere Hilfen. Aber man kann lange teilhaben und wenn man offen ist bleibt die Normalität lange erhalten. Das Leben ist immer das, was man daraus macht.

„Je weiter man sich öffnet, umso selbstverständlicher wird es“. Das sagt Heide Hällfritzsch. Sie pflegt ihren Mann, der seit fünf Jahren mit der Diagnose frontotemporale Demenz lebt. Anfangs ging es ihr sehr schlecht damit. Sie erinnert sich: „Da war die Sorge, dass wir nicht mehr einbezogen werden, wenn unsere Freunde erfahren, dass Klaus Demenz hat. Ich hatte Angst, dass unser normales Leben vorbei ist.“ Heide beschloss, dass sie weiter teilhaben möchte – und genau das tun sie. Klaus ist überall dabei, ob beim Konzert, Abendessen mit Freunden oder Urlaub in Italien. Es tut ihrem Mann gut und gibt ihr Kraft. „Das Leben ist immer das, was man daraus macht“, sagt die Münchnerin. Im Podcast „Leben, Lieben, Pflegen“ spricht Heide über Teilhabe am Leben - mit Demenz. 

Fotohinweis:© New-Media-Design.info 
Wir danken für die freundliche Unterstützung von Fotograf Marc Schneider, New-Media-Design, für die Produktion aller Fotos für die Mutmachgeschichten.
 

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