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„Erst der offene Umgang mit dem Thema Demenz, hat mir im Job Freiheit verschafft.“

Stefanie Wagner-Fuhs, 56 Jahre, lebt in München. Ihre Mutter hatte Demenz und wohnte anfangs in Hamburg. Stefanie war immer berufstätig in leitenden Funktionen und mit Personalverantwortung für bis zu 200 Leute.

Unsere Herausforderung

Lange kam meine Mutter in ihrem Zuhause gut alleine klar, und es gab hilfreiche Nachbarn. Einige Monate nach einem Fahrradunfall entwickelte meine Mutter ein Delir, gefolgt von einer längeren psychischen und körperlichen Krankheitsphase. Sie konnte nicht mehr allein leben – und ich ihr aus der Entfernung nicht helfen. Also habe ich sie nach München geholt und dort, nachdem die Diagnose Demenz feststand, ein betreutes Wohnen gefunden. Als Einzelkind und ohne Verwandte in die Nähe war ich für meine Mutter alleine zuständig und habe alles für sie organisiert und koordiniert: Arzttermine, Tagesklinik, Pflegeleistungen, Fahrdienst. 
Meine große Herausforderung bestand in der Unkalkulierbarkeit der Demenz. Zu Beginn, wenn meine Mutter mich in einem verwirrten Moment hilflos anrief, und später dann, wenn sie etwa gestürzt war und ich plötzlich das Krankenhaus am Apparat hatte. Es gibt dann keine Wahl, ich musste ad hoc reagieren. Verschieben geht da nicht. Selbst Anrufe bei Ärzt:innen oder der Pflegeversicherung ließen sich nur schwer mit meinem Arbeitstag vereinbaren. Und so habe ich mich immer zerrissen gefühlt, wollte im Job perfekt abliefern und zeitgleich für meine Mutter da sein. Sich um einen Angehörigen mit Demenz zu kümmern – das passt nicht in unser Konzept vom Berufsleben, auch wegen dieser Unplanbarkeit.

Das haben wir gemacht

Anfangs habe ich versucht, das alles irgendwie planbar zu machen. Wenn ich beispielsweise im Meeting saß und meine Mutter anrief, weil sie dachte, es sei Samstag und ich käme zum Einkaufen, bin ich kurz raus und habe sie mit „Ich melde mich gleich, Mami“ vertröstet. Für Telefonate mit Pflegekasse oder Sanitätshaus habe ich Pausen genutzt. Doch das hat nicht lange funktioniert. Die Bedürfnisse eines Menschen mit Demenz sind nicht planbar. Einmal war ich in einer wichtigen Sitzung, da rief der Fahrdienst der Tagesklinik an. Meine Mutter stand nicht am bekannten Ort für die Abholung. Der Fahrer musste dringend weiter, um die anderen Patienten abzuholen. Ich brauchte 20 Minuten, um die Situation in mehreren Telefonaten zu klären. 20 Minuten, in denen ich der Sitzung ohne Erklärung fern blieb... Da habe ich gemerkt, so geht es nicht. Solche plötzlichen Ereignisse werde ich nie kontrollieren können. Ich muss im Beruf anders mit dem Thema umgehen. Ich habe meinen Chef und meine direkten Mitarbeiter:innen informiert und ihnen die Schwierigkeiten einer solchen Pflegesituation erklärt. Künftig war klar, wenn ein dringender Anruf kommt und ich mich von jetzt auf gleich kümmern muss, braucht es nur ein Zeichen und meine Kolleg:innen übernehmen. Durch das Ad-hoc-Delegieren konnte ich als Leiterin dafür sorgen, dass die Abläufe weiter funktionieren.

Was ich gelernt habe

Lange habe ich vermieden, die Erkrankung meiner Mutter im Job zum Thema zu machen. Sicher auch deshalb, weil das Umfeld im ersten Unternehmen nicht auf die Herausforderungen einer „Führungskraft mit Pflegeanforderung“ vorbereitet war. Dort ging man davon aus, ich suche einen Pflegeplatz und meine Mutter ist „wegorganisiert“. Doch die betreuungsintensive Phase meiner Mutter dauerte letztendlich acht Jahre. Das konnte – oder wollte – dort niemand mittragen. Ich habe dann den Job, das Unternehmen und sogar die Branche gewechselt, in eine Unternehmenskultur, in der ein größeres Verständnis für Gesundheit und Pflegen vorherrscht. Dort fiel es mir leichter, offen mit der Demenz umzugehen. Und ich wurde nicht als „Minderleister“ angesehen, weil ich mich um meine Mutter kümmere. Ich habe auch gelernt, selbstbewusster mit meinen Anforderungen als pflegende Angehörige umzugehen und mir bewusst Zeit für meine Mutter zu nehmen. Ein grundlegender Schritt dafür ist Klarheit für sich selbst zu bekommen. Ich habe immer deutlich gemacht, dass ich im Unternehmen meine volle Verantwortung trage. Doch erst der offene Umgang mit dem Thema Demenz, hat mir im Job Freiheit verschafft.

Das sollte sich ändern

Pflegende Angehörige benötigen mehr Flexibilität bei den Pflegezeiten und mehr Möglichkeiten, kurzfristig auch stundenweise abwesend zu sein. Es wäre eine riesige Entlastung, wenn Überstunden auf ein Pflegezeitkonto einzahlbar wären. Im Bedarfsfall kann sich der Arbeitnehmer daraus bedienen. Pflegebedarf lässt sich schlecht planen. Spontane Unterstützung ist oft von Nöten, genauso wie eine langfristige Begleitung. Viele gehen zwar in Teilzeit, doch das ist mit finanziellen Einbußen verbunden und oft steht am Ende die Altersarmut. Das darf nicht sein. Für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf brauchen wir mehr staatliche Unterstützung!

Ein straff getakteter Berufsalltag in einer Führungsposition und eine an Demenz erkrankte Mutter – das miteinander zu vereinbaren war über viele Jahre die Herausforderung für Stefanie Wagner-Fuhs. „Ich habe mich zerrissen gefühlt, wollte im Job perfekt liefern und für meine Mutter da sein“, erzählt die Münchnerin. Anfangs versuchte sie, das Thema Demenz aus dem Job herauszuhalten, doch es kam immer häufiger zu Situationen, in denen ihre Mutter sie sofort brauchte. „Die Bedürfnisse eines Menschen mit Demenz sind nicht planbar. Das passt nicht in unser Konzept vom Berufsleben“, sagt Stefanie. Sie fand einen Weg, um damit umzugehen: Sie ging offener mit ihrer Situation um und zog enge Kolleg:innen ins Vertrauen, an die sie im Notfall ad hoc delegieren konnte. Stefanie sagt: „Erst der offene Umgang mit dem Thema Demenz, hat mir im Job Freiheit verschafft.

Wie sie es geschafft hat, sich trotz der beruflichen Anforderungen gut um ihre Mutter zu kümmern, erzählt sie auch in „Leben, Lieben, Pflegen - Der Podcast zu Demenz und Familie“  

Fotohinweis:© New-Media-Design.info 
Wir danken für die freundliche Unterstützung von Fotograf Marc Schneider, New-Media-Design, für die Produktion aller Fotos für die Mutmachgeschichten.